Ich habe die letzten Tage mit vielen Menschen - und insbesondere mit Frauen - verschiedenen Alters und aus mehreren fachlichen Bereichen ĂŒber das Thema gesprochen, um besser verstehen zu können, inwieweit sich Frauen durch die Sprache benachteiligt fĂŒhlen könnten.
Ich hatte selbst erwartet, dass mindestens die HĂ€lfte der Frauen eine âgendergerechteâ Sprache bevorzugen wĂŒrde, aber das Gegenteil war der Fall: sie wurde mehrheitlich und sogar energisch abgelehnt. Eine der Frauen, die selbst viele Texte verfassen und lesen muss, sagte dass sie am liebsten die einfachste Form der Sprache verwenden und nicht mal âLeserinnen und Leserâ, sondern lediglich âLeserâ schreiben möchte. Es seien doch sowieso alle damit gemeint.
Besonders Frauen höheren Alters (die Ă€lteste 82) sagte zu mir: âSo ein Quatsch; mit Nutzer sind doch alle gleichermaĂen gemeint.â
Warum schreibe ich das? Mein Eindruck erhĂ€rtet sich immer mehr, dass einige wenige ein persönliches Problem mit einer Thematik haben und Entscheidungen und VerĂ€nderungen ĂŒbereilt getroffen oder vorgenommen werden, bevor klar ist, ob hier ein ernstzunehmendes Problem vorliegt oder noch besser auf den Punkt gebracht: ob die ĂnderungsmaĂnahmen ĂŒberhaupt das Grundproblem angehen.
Eine der Befragten warf etwas sehr Interessantes ein, wie ich finde.
âDas ganze âGendernâ ist doch ein selbstgemachtes Problem. Erst gibt es âden Leserâ, der alle Menschen gleichermaĂen und völlig unabhĂ€ngig von dessen Geschlecht anspricht - die Person liest die Zeitung, also ist sie ein Leser. Dann heiĂt es plötzlich, dass sich einige Frauen davon nicht ausreichend angesprochen fĂŒhlen und es musste z.B. in âLeser/innenâ geĂ€nderten werden. Dann fĂŒhlen sich einige Frauen nur als AnhĂ€ngsel und es muss wieder etwas geĂ€ndert werden. Und jetzt soll daraus âLesendeâ werden? Da versteht doch jemand die Sprache nichtâŠâ
(Originalzitat einer Abteilungsleiterin aus Norddeutschland, 33 Jahre)
Man sagt, dass alle Menschen in einer kleinen Blase leben. Man umgibt sich automatisch mit Gleichgesinnten und zumindest Ăhnlichdenkenden. Ein Linkspolitischer wird sich nicht mit Rechtspolitischen befreunden. Schaut man sich um, wird man also fĂŒr seine Meinungen leicht BestĂ€tigung finden und schnell wird der Eindruck erweckt, dass doch die Mehrheit genauso denkt. Das kann auf den Eindruck zutreffen, dass gendergerechte Sprache erforderlich ist, es kann aber auch fĂŒr den Eindruck zutreffen, dass gendergerechte Sprache mehrheitlich abgelehnt wird.
Dieser Umstand ist mir bewusst und deswegen weite ich meine Umfragen auch entsprechend aus. Nun bin ich kein Mensch, der noch nie aus seinem Dorf heraus gekommen ist. LehrgĂ€nge, Arbeitsplatzwechsel und Ausbildungen habe mich quer durch die Republik getrieben und veranlasst, dass ich oft viele Monate oder Jahre in verschiedenen StĂ€dten Deutschlands verbracht/ gelebt (falls zu unspezifisch: Berlin, Bremen, MĂŒnchen, DĂŒsseldorf, Kiel, Aachen, Brandenburg, Eggesin, Idar-Oberstein, und weitere kleine StĂ€dte) und viele Menschen kennengelernt und mich mit ihnen befreundet habe.
Ich habe dabei auch in viele Bereiche schauen können, ob und inwiefern Frauen benachteiligt werden. Okay, das kann man als Palaver abtun, das macht mich nicht zum Experten. Zum Ausdruck bringen möchte ich damit nur, dass ich mich mit dem Thema nicht nur vom Wohnzimmer aus beschĂ€ftige und ĂŒber den Daumen gepeilt aus dem Fenster schaue.
Mein Punkt ist der: die Mehrheit der Frauen, mit denen ich sprach, hat ein solides SelbstwertgefĂŒhl und eine offene Erziehung genossen; sie empfinden die VerĂ€nderung der Sprache als falschen Weg. Eine formuliert es so: âIch fĂŒhle mich davon eher beschĂ€mt. Das ganze Zeug mit frauengerechter Sprache - und vielleicht noch die Frauenquote - haben wir doch gar nicht nötig.â
Ein ganz kleiner Teil derjenigen, mit denen ich sprach, besitzen hingegen ein (wie sie selbst sagen) geringeres SelbstwertgefĂŒhl. Die Aussage: âIch kann mir zumindest vorstellen, dass sich einige Frauen von âInformatikerâ nicht angesprochen fĂŒhlen und diese Studienrichtung nicht einschlagen wĂŒrden.â
Sie selbst befĂŒrwortet die gendergerechte Sprache aber ebenfalls nicht - sie wĂŒrde sich daran aber auch nicht stören.
FĂŒr die Befragten und mich liegt die Ursache fĂŒr die Forderung nach gendergerechter Sprache woanders, nicht in ungerechter Sprache. Es dĂŒrfte eher die innere Einstellung, das SelbstwertgefĂŒhl oder die rollenorientierte Erziehung gewesen sein, warum man sich nicht angesprochen fĂŒhlt. Oder es ist die Beeinflussung von auĂen in der heutigen Zeit, dass man sich einfach nicht angesprochen fĂŒhlen mag.
Anstatt Menschen, die auf dem Boden liegen, auf die Beine zu helfen, schmeiĂen wir ihnen Watte hin, damit sie es da unten schön bequem und keinen Grund mehr haben aufzustehen.
Ich möchte noch einen anderen Punkt anbringen und an der Stelle wĂŒrde ich mich fĂŒr Menge ansonsten entschuldigen, aber hier wurde so ein riesiges Thema aufgegriffen, nun mĂŒssen da alle durch.
Ich möchte bitte, dass die Kartenapp die Welt so darstellt, wie sie wirklich ist: als Scheibe. Die Darstellung als Streifen ist irrefĂŒhrend und missverstĂ€ndlich. Es ist ein leichtes sie kreisrund darzustellen, wie sie wirklich ist. Es gibt viele Menschen, die meiner Meinung sind und wir fĂŒhlen uns durch die völlig falsche Darstellung nicht inkludiert.
Was hat das denn jetzt bitte damit zu tun?
Nun, die Frage, die sich mir hier stellt: wo hat Inklusion seine Grenzen? Wollen wir nur versuchen, dass sich alle Gruppen gut aufgehoben fĂŒhlen oder suchen wir auch irgendwann das GesprĂ€ch und gehen die Ursachen an?
Vielleicht sind die Ăhnlichkeiten nicht gleich erkennbar, aber betrachten wir das von weit auĂen:
- Es gab/ gibt einen Konsens, dass
- das Geschlecht des Wortes nicht dem Geschlecht der angesprochenen Person entspricht (sie stehen nicht im Zusammenhang)
- die Erde ist rund
- eine kleinere Gruppe zweifelt dies an
- die Zweifel werden ĂŒber soziale Medien schnell verbreitet und die Gemeinschaft wĂ€chst
- es werden Argument gebracht, die alle Zweifel aus dem Weg rÀumen sollten, aber die Argumente werden nicht akzeptiert; der persönliche Eindruck wiegt schwerer als alle Argumente
- jeder der etwas dagegen sagt, gehört entweder zur manipulierenden Gruppe mit Machtposition oder versteht nur einfach die Gegenargumente nicht
Nun sagen die Leugner der Mondlandung vielleicht: die Flat-Earther sind dumm! Dass die Erde rund ist, ist doch logisch. Wo uns die Regierung wirklich das Gehirn gewaschen hat, ist beim Thema Mondlandung, denn die hat nie stattgefunden.
Und die Leugner des Klimawandels sagen: Wie blöd doch die Menschen sind. Klar ist die Erde rund und wir sind auf dem Mond gelandet, aber den Klimawandel wollen uns die Machthabenden nur einreden.
Und Menschen, die sich von der (ich nenne sie mal) alten Sprache nicht angesprochen fĂŒhlen, werden sich wohl (und hoffentlich) ebenfalls nicht mit Flat-Earthern und Co identifizieren, aber ist es nicht trotzdem die gleiche Entwicklung?
Schon im anderen Thread habe ich angesprochen, dass Frauen, die etwas erreicht haben, nicht erst die Sprache Àndern mussten.
Ich sehe ein, dass sich das Verhalten von Menschen Ă€ndern sollte. So hat eine Kollegin vor wenigen Wochen ein MĂ€dchen zu Welt gebracht und nichts hat sie sich sehnlicher gewĂŒnscht als ein MĂ€dchen. Den Grund finde ich traurig: damit sie ihre Tochter in schöne Kleider stecken und mit ihr immer Klamotten shoppen kann. WĂ€re es ein Junge geworden, könnte sich ihrer Aussage nach ja nur der Vater mit dem Sohn beschĂ€ftigen.
Nebenbei bemerkt ist sie in der IT und verdient mehr als die mÀnnlichen Kollegen mit gleicher TÀtigkeit.
Erneut bitte ich darum, nichts in meine Texte hinein zu interpretieren und mir zu unterstellen, ich wĂŒrde an der mĂ€nnlichen Machtposition oder Ă€hnliches festhalten wollen. Das genaue Gegenteil ist der Fall. Ich investiere viel Freizeit, um im Umfeld fĂŒr Gleichberechtigung und Gerechtigkeit zu sorgen, aber eben Gleichberechtigung und Gerechtigkeit fĂŒr alle gleichzeitig und gleichermaĂen.
Dazu kommen Selbstverteidigungskurse fĂŒr Frauen (kostenlos), Workshops und UnterstĂŒtzung fĂŒr IT-Themen (Alltags-IT, keine Entwicklung). Details liefere ich gerne auf Nachfrage, ich will den Text jetzt nicht weiter in die LĂ€nge ziehen.